Kommentar zu Nicht gesellschaftsfähig, Wie man vollkommen verschwindet, Der unsichtbare Spiegel, Das Gras und der Zaun.


Nachdem ich 1997 und 98 an "Shape and Geometry", der Zusammenstellung all meiner Zeichnungen von Kornfeldfiguren, gearbeitet hatte, war ich erschöpft von der jahrelangen Zweigleisigkeit in meinem Denken. Während ich an meinen Texten zu den Zeichnungen geschrieben hatte, war diese Geisteshaltung praktisch gewesen, denn so konnte ich die Zeichnungen als Abbildungen von Dingen ungeklärter Herkunft beschreiben und damit die Zeichnungen selbst mystifizieren (in "Shape and Geometry" ist nur ein einziges Foto einer Kornfeldfigur). Andererseits ordnete ich sie nach den gut zu unterscheidenden Stilen der Urheber, auf die ich in meinem Buch aber nicht näher einging. Das Einzige, was auf die menschlichen Urheber der Kornfeldfiguren hinwies, war eine kurze Namensliste am Ende des Buches.

Obwohl der englische Architekt Norman Foster mir ein schönes Vorwort geschrieben hatte, fand das Buch aus naheliegenden Gründen keinen Verleger: Es hatte zu viele bebilderte Seiten (knapp fünfhundert) und war auf englisch verfasst, was für die Verlagshäuser hierzulande natürlich der erste Grund war, eine Veröffentlichung abzulehnen. Dazu kam, dass meine Texte entgegen der damaligen Mode keine explizit ufologischen oder esoterischen Bezüge enthielten und die Kornfeldfiguren eher im Bereich der modernen Kunst, als Kunstform ohne Künstler, verorten sollten. Als ich nach einem Jahr der Suche nach einem Verleger dann doch einen Londoner Kunstbuchverlag gefunden hatte (welcher allerdings eine Beteiligung an den Druckkosten verlangte, die ich nicht leisten konnte), war ich mit meinem Elan schon am Ende.

Die Art und Weise, in der ich anscheinend in der Lage war, zwei widersprüchliche Gedankengänge gleichzeitig zu verfolgen, verglich ich in den folgenden Jahren gerne mit dem aus der Quantenphysik bekannten Welle-Teilchen-Dualismus. Solange ich nicht um den sicheren menschlichen Ursprung einer Kornfeldfigur wusste, betrachtete ich sie wider besseres Wissen als nicht von Menschen gemacht und somit als Zeichen einer wie auch immer gearteten höheren Instanz. Nun ging mir aber der Glaube an letzteres irgendwann verloren, einfach weil sich aus den hunderten von Kornfeldfiguren einfach kein Sinn herauslesen liess.

Damit wäre meine dualistische Denkweise eigentlich hinfällig gewesen, denn eine Metaphysik ohne Physik ist keine, sowie ein Wunder ohne Gott wenig wundersam wäre, sondern nur seltsam. Aber ab dem Zeitpunkt hatte mein Denken schon angefangen, sich zu verselbstständigen und von mir abzulösen. Die Gedanken, welche damals durch die Kornfeldfiguren inspiriert wurden, wirbelten umher und verknüpften sich täglich (und manchmal auch stündlich, wenn ich mit THC-haltigen Substanzen nachhalf) zu neuen, mir jedesmal sehr sinnvoll erscheinenden Verbindungen. In dieser Zeit schrieb ich dann die oben genannten Texte. Zum einen wollte ich immer noch den möglichen nicht-menschlichen Ursprung der Kornfeldfiguren erklären und verfiel dafür auf die Möglichkeiten der Telepathie und der Teleportation, zum anderen entwickelte ich einen systemtheoretischen Ansatz unter Verwendung des von Francisco Varela geprägten Begriffes der "Organisatorischen Geschlossenheit".

Den zuletzt genannten Ansatz würde ich auch heute noch verfolgen, um die Ähnlichkeit aller weltweit gefundenen Kornfeldfiguren zu erklären, aber ich würde Teleportation und Telepathie als Faktoren ausschliessen und stattdessen die gemeinsamen industriellen Normgrößen der Werkzeuge sowohl der Farmer als auch der Kornkreiskünstler hinzunehmen. Bei der Arbeit an den vier Texten ging ich aber noch von der Möglichkeit der "Aussersinnlichen Wahrnehmung" aus (die ich auch heute nicht hundertprozentig ausschliessen möchte, aber zu 99,9 Prozent schon), so dass der systemtheoretische Ansatz oft hinter der Beschreibung hypothetischer extrasensorischer Wirkungsweisen verschwimmt.

Die ersten drei Texte veröffentlichte ich in unseren ersten beiden invisible(circle-booklets und "Das Gras und der Zaun" sowie ein bis zwei andere Texte sollten im dritten Heft erscheinen, aber dann machten wir im Sommer des Jahres 2003 unser eigenes Experiment: Wir fertigten selbst eine Kornfeldfigur an und konnten dabei nicht nur feststellen, dass es relativ einfach ist, sondern wir sahen auch, dass sich scheinbar unverletzte Kornhalme sowie geometrische Relevanzen von selbst ergaben und nicht die Ergebnisse unbekannter Techniken oder Methoden waren. Damit brach schnell mein dubioses Weltbild zusammen: Kornfeldfiguren waren aller Wahrscheinlichkeit von Menschen gemacht und die Idee, dass sie es nicht wären, fiel dahin zurück, von wo sie mir entwischt war: Auf den matschigen Boden der Tatsachen. Später konnte Jan recherchieren, dass die Menschen, welche Kornfeldfiguren anlegten, und die Menschen, welche den nicht-menschlichen Ursprung derselben propagierten, oft dieselben gewesen waren.

Diese abschliessenden Erkenntnisse befreiten mich allmählich von meiner geistigen Verirrung. Allerdings geschah das mitten in der Arbeit an "Das Gras und der Zaun", so dass der Text am Ende seine eigene Hypothese verschluckt. Obwohl in sich nicht sonderlich logisch aufgebaut, sagt er aber doch zumindest, dass die eigene Vorstellung niemals die Bedingung der eigenen Welt sein kein (und auch nicht umgekehrt), sondern beides durch die eigene Existenz bedingt wird. Was man daraus machen kann und wie man es wahrnimmt, kann aber davon abhängen, ob und inwieweit man sich von seiner Vorstellung über die Welt gefangen nehmen lässt. Der Text versucht, all das prosaisch und assoziativ zu erklären und es gelingt natürlich nicht, aber ich mag ihn trotzdem, weil er am ehesten meine Stimmung in meinen wirren Jahren widergibt.

© 2005 wolfgang schindler