Kommentar zu Howard und Kelly, Zeitverzerrung, Mein erster Kornkreis.


In der Psychologie nennt man die sinnstiftende Verknüpfung von nicht miteinander in Verbindung stehenden Dingen, Ereignissen und Erfahrungen Apophänie. Es ist eine ähnliche Ableitung aus dem Griechischen wie das im kirchlichen Zusammenhang gebrauchte Wort für Offenbarung, Epiphanie ("apo phein" heisst soviel wie "aufzeigen") und bezeichnet eine bestimmte Phase einer schizophrenen Erkrankung, in welcher vom Erkrankten eben Muster erkannt werden, die nicht wirklich vorhanden sind. Diese Phase geht der sogenannten Apokalypse voraus ("Apokalypse" heisst im Deutschen nun auch "Offenbarung", allerdings abgeleitet von "apo kaluptein", welches "aufdecken" bedeutet), in welcher die neuen gedanklichen Verknüpfungen sich stark "vermehren" und einen eventuell völligen Zusammenbruch (im Sinne der biblischen Apokalypse) der Denk- und Handlungsfähigkeit des Patienten einleiten.

Die Genesung und Erholung von diesem schizophrenen Schub bezeichnet man als "kopernikanische Wende" und die folgende letzte Phase als "Residuum", weil eben noch ein Rest der gesamten schizophrenen Episode im Denken und Handeln des Patienten übrig bleibt. Nun ist es durchaus möglich, dass eine apophäne Episode unvermittelt beginnt (ohne die bei einer schizophrenen Erkrankung vorausgehende Phase des "Trema", der sich von Angstzuständen bgeleitet auftuenden "Lücke" zwischen sich und der eigenen Umwelt) und keinen schizophrenen Ausbruch zur Folge hat. Es ist bis heute nicht geklärt, ob Apophänie und künstlerische Kreativität nicht eventuell dasselbe sind und Künstler und andere kreative Menschen so etwas wie "kontrollierte Apophäniker" sein könnten. Vielleicht stellt aber auch die Schizophrenie als solches ein sehr stark vergrössertes und verzerrtes Abbild der dem Menschen heutzutage gewohnten Denkstruktur dar, denn bei jedem Gedanken trennt man sich kurzzeitig von der gegenwärtigen Wahrnehmung der Umwelt, um eine neue innere Verknüpfung herzustellen, und danach integriert man sich mit dem neuen Gedanken wieder in der Welt, welche aber daraufhin eine geringfügig andere ist.

Wie dem auch sei, ich muss gestehen, dass es mir am Ende immer schwerer fiel, meine wildgewordene Mustererkennung zu kontrollieren, vor allem weil sie sich fast ausschliesslich mit abstrakten Dingen beschäftigte. So war die Erfahrung, mal eine Kornfeldfigur selbst anzufertigen, nicht nur sehr lehrreich, sondern auch heilsam, genauso wie der sich daraus ergebende Kontakt mit Menschen, die schon länger Kornfeldfiguren machten. Meine Erfahrungen brachten mich dazu, die Kornfeldfiguren endgültig als menschengemacht anzusehen und die seltenen Kreise in Kornfeldern, von welchen schon seit Jahrhunderten berichtet wird, als ein meteorologisches Phänomen, welches von Zeit zu Zeit Menschen inspiriert hat, selbst Kreise und Figuren ins Feld zu legen.

So schrieb ich "Zeitverzerrung" und "Mein erster Kornkreis". Allerdings war ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder auf die schon einmal während meiner Forschung aufgetauchte Verbindung zwischen der "pentagonalen Geometrie" der Kornkreise und den heutzutage gebräuchlichen Industrienormen gestossen und ich muss gestehen, dass ich bis heute fast nichts darüber geschrieben habe (aber ich werde es bald tun). Das letzte aber, was von meiner Kornkreis-Apophänie übrig blieb, war die Faszination für all die seltsamen Lichter, die ich in den Jahren zuvor gesehen hatte. Ich sah seltsame Lichter über den Weizenfeldern Wiltshires und ich sah sie immer als Einziger, aber an anderen Tagen sahen andere Menschen auch welche. Ich sah aber auch seltsame Lichter in meiner Wohnung und hörte sie vor sich hinpfeifen und mit kleinen Glöckchen läuten, und ich bin bis heute der Einzige, der das gesehen und gehört hat. Ich denke, ich werde für den Rest meines Lebens auch der Einzige bleiben, und das ist auch besser so. Trotzdem konnte ich nicht meine Finger von der seltsamen Geschichte der Flammenbällchen an Bord des Space Shuttles "Columbia" lassen, ich musste sie einfach am Rande auch mit Kornkreisen in Verbindung bringen, sozusagen als letztes Zugeständnis an meine andere Welt.

© 2005 wolfgang schindler