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MEIN ERSTER KORNKREIS


Früher

Wirklich: Mein erster Kornkreis; der erste von mir selbst in ein Kornfeld gelegte Kreis, obwohl ich mich schon seit fast vierzehn Jahren mit Kornkreisen beschäftige. Einmal habe ich nachts Weizenhalme umgebogen und das ist auch schon zwölf Jahre her, aber damals wurde kein Kreis aus meiner kleinen Versuchsfläche aus umgelegten Korn in einem Feld nördlich von Hamburg. Mir reichte der knappe Quadratmeter aus, um für mich den Eindruck zu gewinnen, dass sich reifes, taufeuchtes Getreide sehr wohl so verbiegen ließ, dass andere Menschen durchaus der damals modischen Ansicht sein mochten, dieses könne nur das Werk höherer Mächte oder ausserirdischer Lebewesen sein.

Die meisten Kornkreise, die ich in den letzten zwölf Jahren gesehen habe, kamen mir nicht sonderlich mysteriös vor, aber einige wenige dann doch. Obwohl ich der Meinung bin, dass Kornkreise und komplexere Kornfeldfiguren heutzutage in der Regel das Werk von mehr oder weniger ambitionierten Menschen sind, blieben für mich trotz meines damaligen Feldversuches und anderer Erlebnisse immer noch zwei Fragen offen: Welche Kraft ist in der Lage, Getreide so zu beugen, dass es unberührt und unbeschädigt erscheint, obwohl die gesamte Fläche des gelegten Korns den Eindruck einer geplant geometrischen und mit mechanischen Mitteln gefertigten Fläche oder Linie erweckt (ich gebe zu, dass ich so etwas in ungefähr siebzig Kornkreisen nur zweimal gesehen habe und will es am Ende dieses Textes noch näher beschreiben) und wo kam die präzise geometrische Konstruktion her, welche den unsichtbaren Rahmen für einige komplexere Kornfeldfiguren lieferte und sie dazu noch an bestimmten Merkmalen der näheren Umgebung ausrichtete?


15. Juni 2003

Keine der beiden Fragen konnte weder ich noch jemand anderes zufriedenstellend beantworten und sie gerieten mir zunehmend in den Hintergrund meiner Beschäftigung mit Kornkreisen, die mir im Laufe der Jahre zu einer nebensächlichen ästhetischen Vergnügung geworden war. Als mir Jan Schwochow vorschlug, doch selbst bei einer Anfertigung einer Kornfeldfigur dabei zu sein, überwog zunächst die Befürchtung, eine windige und regnerische Nacht in einem schlammigen Weizenfeld verbringen zu müssen, meine Neugier auf die Erfahrungen und etwaigen Hinweise auf mögliche Antworten meiner Fragen. Aber am 15. Juni sitze ich mit Jan vor dem übergroßen Bildschirm seines Rechners und wir entwerfen eine Kornfeldfigur von der Art, wie sie die Welt schon einige gesehen hat, denn wir wollen mit Seilen und Planken antreten, um zu zeigen, dass man Getreide vielleicht doch butterweich flachlegen kann und sich ganz nebenbei noch hochkomplexe Geometrie in dem Muster unterbringen lässt.

Wir diskutieren ein wenig um das genaue Aussehen des Kornfeldfigur: Jan möchte eine Figur nachbilden, wie sie häufiger vor sieben Jahren in Angeln in Schleswig-Holstein gefunden wurde, ich dagegen würde gerne eine Abwandlung eines klassischen südenglischen Musters in das Feld treten. Das Feld befindet sich auf dem Hof von Peter Landtau in Ulsnis in Angeln, was die Entscheidung für eine Figur im lokalen Stil der damaligen Kornfeldfiguren leicht fallen lässt, aber um die Sache interessanter zu machen, entwerfen wir diese Figur mit in unseren Augen typisch englischer pentagonaler Geometrie (Abb. 1). Auf dem Bildschirm und auf dem Papier sieht der Entwurf gut aus und wenn wir dieses Bild in das ausgesuchte Weizenfeld, dessen Form, Ausdehnung und Traktorspurlage Jan vorher vermessen hat, übertragen können, wären wir bei der Beschreibung menschlicher Möglichkeiten beim Erstellen von Kornfeldfiguren einen wichtigen Schritt weiter.



Abb. 1: Der Masterplan


Davor müssen wir uns allerdings überlegen, wie wir das anstellen. In den nächsten Tagen überträgt Jan die Maße aus unserem Entwurf in eine Handvoll Zahlen und Buchstaben, die auf drei verschieden langen Schnüren als fixe Messpunkte markiert werden sollen, und ich feile noch ein wenig an der Geometrie und besorge unser Material: Hunderte Meter von Paketschnur, schwarz-gelbes Klebeband, wasserfeste Filzstifte, Klemmbretter, Kugelschreiber und Taschenlampen. Am Ende der Woche packe ich all mein Geraffel zusammen und krame noch all die Dinge hervor, die ich sonst ungern auf Reisen mitnehme: Pullis, Wollsocken, Regenzeug, Mützen und ein altes Paar Schuhe.


21. Juni 2003

An diesem Sonnabendmorgen ist in Hamburg der Sommer wieder dem gewohnten Wetter gewichen. Der Himmel über der Elbe ist wolkenverhangen und der Regen tropft von der Takelage des Dreimasters vor meinen Fenstern (wollte damit kurz andeuten, dass ich unlängst in eine wirklich interessante Wohnung gezogen bin). Jan holt mich ab und wir fahren aus der Stadt nach Norden. Das Wetter wird besser, je weiter wir kommen und als wir in Ulsnis sind, regnet es nicht mehr. Wir haben bei Bauer Landtau eine kleine Ferienwohnung gemietet, von deren Terrasse wir direkt auf das Feld nördlich des Hauses blicken können und wenn heute Nacht alles gelingt, morgen auch auf unsere Kornfeldfigur.

Kaum sind wir bei Peter Landtau angekommen, bekommen wir auch schon Besuch: Aus Hamburg ist uns ein Team des Norddeutschen Rundfunks gefolgt. Die Reporter Dörte Schipper und Gregor Petersen hatten uns vor einem Monat gefragt, ob sie über unsere Arbeit einen halbstündigen Fernsehbeitrag drehen dürften, und nach einem ersten Treffen hatten wir zugesagt. Sie wollen einen kommentarlosen und nicht wertenden Bericht über uns abliefern, was nach den Jahren der alljährlichen Veralberung in den hiesigen Medien als neurotische Pausenclowns, die mit ihrer Freizeit nichts Besseres anzufangen wissen, als sich in Kornfeldern nasse Füße zu holen, weil sie an Ausserirdische glauben, zum ersten Mal angenehm klingt. Natürlich möchten sie auch unseren Feldversuch filmen und das führt zu einer interessanten Problemstellung, denn wir möchten den Kornkreis unter möglichst authentischen Bedingungen herstellen, also nachts und im Dunkeln, sie dagegen würden wohl am liebsten Scheinwerfer am Feldrand aufstellen, damit die Kamera die ganze Aktion auf Video bannen kann. Am Ende einigen wir uns auf einen kleinen dimmbaren Spot auf der Kamera selbst und auf eine begrenzte Aufnahmedauer, nämlich nur während der Anfertigung der ersten zwei Kreise der Figur. Aber noch sind wir nicht soweit, erst einmal reden wir vor laufender Kamera über Kornkreise und die Welt und erklären dabei unser Projekt und unsere Absichten dabei.

In der ersten Drehpause erzählt mir Tonmann Hartwig Handt, dass ihn die frühen komplexen Figuren, die sich vor dreizehn Jahren in südenglischen Feldern fanden, an NATO-Aufklärungscodes erinnern. Was ist das? Hartwig sagt, dass er aus seiner Zeit als Oberleutnant bei der Bundeswehr noch eine "Verschlußsache nur für den Dienstgebrauch" liegen hat, in der unter Anderem auch ein grafisches Alphabet zur Darstellung der Position und Stärke feindlicher Stellungen enthalten ist, nach dessen Anleitung Soldaten nach Pfadfinderart in der Landschaft Zeichen setzen können, falls die Funkgeräte nicht mehr funktionieren. Dieser grafische Code sieht so aus wie die ersten englischen Kornfeldfiguren, sagt jedenfalls Tonmann Hartwig, und zum Beispiel ähnelt meine Zeichnung von "Chilcomb Down, 23. 5. 1990" dem militärischen Hinweis auf eine Flugabwehrstellung mit vier Kanonen.

Oha. Ich erinnere mich plötzlich wieder an all die Gerüchte und Geschichten, welche darüber berichteten, dass damals in England immer das Militär zuerst in den komplexeren Kornfeldfiguren gewesen wäre und das alle frühen Kornkreise von Hubschraubern und Auklärungsflugzeugen fotografiert worden seien. Jan selbst hatte 1997 eine Kompanie Soldaten beobachtet, die irgendwelche Antennen auf ein Feld unterhalb der historischen Hügelbefestigung Barbury Castle gerichtet hatten, und nur einen Tag später lag in genau diesem Feld eine Kornfeldfigur. Hoffentlich kann mir Hartwig mehr über die NATO-Codes erzählen, wenn wir zurück in Hamburg sind.

Nach der Pause markieren Jan und ich Schnüre mit Klebeband und Zahlen und Buchstaben. Die Buchstaben von A bis J zeigen die Distanzen zwischen den einzelnen Kreismittelpunkten und Kreisperimetern entlang der Längsachse der Figur an, die Zahlen zwischen 0 und 1 bis 19 (Radius oder nächstgelegener Mittelpunkt) geben die Entfernungen zwischen allen geometrisch relevanten Punkten abseits der Längsachse an. Wir legen die Schnüre draussen auf der Wiese hinter der Scheune aus und es regnet wieder. Peters Hunde Katrin (Setter) und Birke (Dackel) verheddern sich in den Schnüren, während das Fernsehteam zum wiederholten Male fragt, was wir uns von unserem Experiment erhoffen. Ich wünschte, ich wüsste es. Auf den Tag und die Minute genau vor zwei Jahren habe ich in Sambia eine Sonnenfinsternis gesehen; wozu das gut war, kann ich auch nicht erklären. Aber es war gut.

Irgendwann haben wir unsere Schnüre fertig, das Fernsehteam ist nach Süderbrarup ins Hotel zurück gefahren, um eine DU (Dienstunterbrechung) vor dem nächtlichen Dreh zu haben und dann ist es trotz Sommersonnenwende sogar einigermaßen dunkel geworden. Abends kommen Frank Laumen und Andreas Müller von Rügen, wo sie die neuesten Kornkreise besichtigt haben, zu uns, um bei dem Experiment mitzuwirken. Sie sind todmüde, weil sie erst gestern morgen aus Leverkusen respektive aus Saarbrücken gen Norden aufgebrochen sind. Jan und ich versuchen unser Bestes, ihnen unser Vorhaben in all seinen Details zu erklären. Das Fernsehteam kommt wieder und wir suchen unser Zeug zusammen und ziehen uns warm an. Andreas wird beim Entnehmen von Getreideproben gefilmt und interviewt. Er droht damit, die Ausdehnung von jeweils drei Wachstumsknoten an ungefähr zweihundert Halmen zu messen, aber das können wir ihm ausreden. Am Horizont steht eine schöne dunkelblaue Dämmerung, aber über uns hängen Regenwolken. Zum Glück ist es fast windstill.

Um halb Zwölf stehen wir am Feldrand und wollen hinein gehen, aber Jan hat irgendwas in der Wohnung liegen gelassen und muss noch einmal zurück. Wären wir jetzt echte Fälscher und hätten unsere Autos in sicherer Entfernung von unserem ausgewählten Feld geparkt, könnten wir es vielleicht jetzt schon aufgeben. Aber wir wohnen ja hier. Zehn Minuten später gehen wir zu neunt in das Feld: Jan, Andreas, Frank und ich, dazu Peter und Dörte und Gregor und Hartwig und Kameramann Axel Svoboda. Während wir versuchen, uns zu orientieren, fragen uns Dörte und Gregor die gleichen Fragen, die sie uns schon heute nachmittag gefragt haben und ich habe immer noch nicht begriffen, dass sie uns an jedem neuen Drehort immer wieder die gleichen drei bis vier Fragen stellen (Was halten wir von Kornkreisen, was erhoffen wir uns von unserem Experiment, wie unterscheiden wir menschengemachte von echten Kornkreisen, was ist das Besondere an einer auf dem Goldenen Schnitt beruhenden Geometrie), um ihr Material im Schnitt möglichst vielfältig kombinieren zu können, und bin genervt. Wir beginnen damit, die Schnur mit den Markierungen für die Abstände zwischen den Mittelpunkten in der von uns dafür ausgesuchten Traktorspur auszulegen, dann begeben wir uns von der ersten Markierung aus im senkrechten Winkel zur Traktorspur in das stehende Korn und legen den ersten Kreis hinein. Zuerst treten wir den Umfang in den Weizen, dann "malen" wir den Kreis mit unseren an zwei Seilen vorgehaltenen Brettern aus, indem wir mit einem Fuß auf dem Brett das Korn schrittweise nieder drücken. Es ist wenige Minuten vor zwölf und die Spannung steigt.


22. Juni 2003

Mitternacht! Richtig dunkel geworden ist es nicht, aber der erste Kreis ist fertig. Am Horizont wandert langsam ein tiefblauer Himmelsstreifen von Westen über Norden nach Osten und die Lampe auf der Kamera ist auch noch an. Wir basteln uns an der ersten Kornkreishantel einen ab, tüdeln mit den Bändern herum und zanken, weil wir nicht vorher abgeklärt haben, wer sich wie um unsere Arbeitswerkzeuge kümmern soll und ob und wie wir unsere Aktionen protokollieren. Dazu hören wir aus der Richtung des mysteriösen Lichtpunktes, der dicht neben uns über dem Korn schwebt, die sich wie ein Mantra unablässig wiederholende Frage nach den Hoffnungen, die wir auf unsere Aktion setzen. Als dann neben dem geheimnisvollen Licht noch ein kleineres zweites erscheint, habe ich die Faxen dicke und gehe aus unserem ersten Kornkreis raus und stelle mich neben Gregor und zünde mir auch eine Zigarette an, um mich zu beruhigen.

Während ich mich beruhige, wird Jan unruhig, weil ich mit einer Zigarette beruhige und er im Moment der Einzige ist, der mit dem Umlegen von Kornhalmen beschäftigt ist. Frank ist müde von der Autofahrt und wankt in der Traktorspur umher wie ein Gespenst im Gang eines Nachtzuges. Ab und zu hebt er in einer Art Reflex seine Kamera vor sein Gesicht und macht mit geschlossenen Augen ein Foto. Dann blitzt es und alle Anderen sind minutenlang geblendet. Andreas ist auch keine große Hilfe, denn er ist auch müde und dazu augenscheinlich nicht ganz von dem Sinn unseres Experimentes überzeugt. Auf eine charmant-eloquente Art zieht er unsere Arbeit in die Länge, indem er uns überzeugt, dass wir unsere eigenen Aktionen protokollieren müssten. Recht hat er, aber mir ist überhaupt noch nicht klar, wie sich die einzelnen Aktionen voneinander abgrenzen lassen und ich komme mir vor wie ein shanghaiter Matrose auf einem Segelboot, der seine Erfahrungen im Scheitern auch noch gleich zu Papier bringen soll. Eine Hand für das Schiff, eine Hand für dein Tagebuch. Und wo ist der Kapitän und wohin geht die Reise? Ich hänge dem Vergleich zwischen einem Team von Kornkreismachern und einer guten Segelmannschaft noch ein paar Sekunden nach, dann verlöscht er mir zusammen mit meiner Zigarette und dem Scheinwerfer auf der Kamera. Jan hat die Hantel fast alleine fertig gestellt, damit ist der mit dem Kamerateam verabredete Zeitpunkt für das Ende ihrer Dreharbeiten während unserer Arbeit erreicht und sie verlassen das Feld.

Jetzt (es ist kurz nach halb eins) wird es endlich wirklich dunkel um uns herum und dann langsam wieder hell, weil unsere Augen sich erstaunlich gut auf das nächtliche Dämmerlicht einstellen. Nach einer Viertelstunde brauche ich keine Taschenlampe mehr, um auf unserem Plan die Details zu erkennen oder um die gestoppten Zeiten zu notieren. Ich finde mich auch im Dunkeln besser in die notwendigen Arbeitsabläufe ein, so als ob die Dunkelheit in meinem Hirn einen Schalter umgelegt hat. Ich bin jetzt nachtaktiv: Ich bewege mich ruhig und vorsichtig, kann dabei meine Klappe halten und behalte einen klaren Kopf. Als ich meinen ersten Kreis mit Ring alleine in das Korn lege, merke ich schnell, auf welche Art und Weise das Korn dem Umbiegen seinen Widerstand entgegensetzt: Es drückt von unten gegen das Brett, auf welchem mein Fuß steht, der wiederum das Brett in die Halme hinein schiebt, und es fühlt sich nicht wie eine unbewegliche Masse gleicher Pflanzen an, sondern eher wie ein fließendes und strudelndes Medium. Manchmal lenken die Halme mein Brett mitsamt mir in eine Richtung, in die ich gar nicht will, ein anderes Mal saugt mich das Vakuum einer Traktorspur in dieselbe und die Halme fließen mitsamt mir dort hin. Das klingt jetzt poetischer, als es ist, aber die ganze Atmosphäre unserer nächtlichen Aktion hat nach dem Abzug des Filmteams eine seltsame Poesie gewonnen, die uns durch unsere Tätigkeiten trägt. In dieser Stimmung gelingen die nächsten Kreise, Ringe und Pfade ausgesprochen gut. Insbesondere das Ausmessen von Winkeln klappt mit einem von Jan gebautem Winkelmesser plus Laserpointer hervorragend. Der Laserstrahl zeichnet sich im stehenden Korn gut sichtbar ab und man muss ihm nur nachgehen und dabei das Korn umlegen, um einen Pfad im richtigen Winkel zur Hauptachse zu machen.

Gegen halb drei Uhr morgens verlassen uns unsere aus der für Städter ungewohnten nächtlichen Atmosphäre der Natur gewonnenen Kräfte wieder, weil wir jetzt alle langsam müde werden und wir zudem nicht daran gedacht haben, etwas zu trinken oder zu essen mitzunehmen. Schön blöd. Bei den letzten Kreisen verwechseln wir zweimal die Schnüre mit den markierten Radien. Andreas hält eine Schnur am ausgestreckten Arm und vergrößert damit einen Radius um die Länge seines Armes, Jan zerbricht beim Halmumlegen sein Brett und beschäftigt sich danach mehr mit seiner Infrarotkamera als mit dem Kornfeld, Frank blitzt wieder und macht uns alle blind und ich habe eine Schnur und den Plan irgendwo in einem Kreis weit hinten im Feld vergessen. Ein paar Regentropfen fallen herab, aber zum Glück fängt es nicht wirklich an zu regnen, sondern es klart wieder auf und der Mond erscheint am Horizont. Als ich mein Zeug wieder finde und die letzten Zeiten im Plan nachtragen will, schreibe ich mit meinem Kugelschreiber beinahe durch eine Nacktschnecke, die gerade quer über den Plan kriecht. Über den Plan gelangt sie zumindest schneller als durch unsere Kornfeldfigur, denn die hat gegen drei Uhr morgens ihre Gesamtlänge von 114 Metern erreicht. Nun setzen wir noch zwei kleine Kreise neben die Figur, dann sind wir um zehn Minuten nach drei fertig und schicken uns an, das Feld wieder zu verlassen. Jan und Andreas sammeln die Arbeitswerkzeuge ein und ich die Schnüre, was mich am Ende noch eine Viertelstunde länger im Feld verweilen lässt, denn die Schnur mit den Mittelpunktabständen liegt natürlich immer noch in der Traktorspur und damit jetzt auch unter Teilen des flachgelegten Korns. Spätestens hier hätten wir unsere Kornkreisreggatta verloren, denn um die Schnur zu bergen, muss ich die Kornlage teilweise wieder aufrichten und zerstöre damit den sowieso kaum vorhandenen Fluss derselben. Egal, die Schnur muss raus aus dem Feld und um halb vier Uhr morgens ist sie es und ich auch.

Nachdem wir alle bis auf Jan lange geschlafen haben (Jan stand früh auf, um gleich nach Sonnenaufgang von der Terrasse aus das erste Foto unseres Werkes zu machen), treffen wir uns mittags mit dem Fernsehteam im Weizenfeld wieder. Das umgelegte Korn sieht genauso betreten aus wie wir: Platt, zerdrückt und abgeknickt. Bauer Landtau kommt hinzu und meint, das hätte er schon besser gesehen, Bauer Kruse aus der Nachbarschaft ist dagegen ein höflicher Gast, ihm gefällt unsere Arbeit. Dörte und Gregor sagen wieder ihren Fragenkanon auf und wir sind einigermaßen ratlos. Einen so schlechten ersten Eindruck hatten wir nun doch nicht erwartet. Als Übersprungshandlung und auch auf Wunsch des Fernsehteams beginnen wir sofort mit dem Vermessen unserer Figur. Ich stelle fest, dass ich ein gewisses Talent besitze, im Kornkreis meiner Arbeitswerkzeuge verlustig zu gehen: Zuerst kommt mir mein Maßband abhanden, dann verliere ich meinen Kugelschreiber. Zum Glück finde ich dann wenigstens mein Maßband wieder, so dass wir die wichtigsten Daten mit Jans Kugelschreiber notieren können. Jan markiert noch einige Weizenhalme mit Klebestreifen, damit er sie in den nächsten Tagen wiederfindet, um die phototropische Aufrichtung des Getreides zu protokollieren.

Als wir unsere Aktionen im Feld beendet haben, packen alle ihr Geraffel zusammen und wir blasen nach Kropp, einem kleinen Ort mit einem Flugfeld für Sportflugzeuge. Jetzt wird es noch einmal spannend: Wie sieht unsere Arbeit von oben aus? Als wir am Flugplatz ankommen, ist das Wetter besser als am Morgen und es sind auch genügend Flugzeuge am Start, um uns alle nacheinander mitzunehmen. Zuerst fliegt Frank in einer kleinen Cessna und später Jan, Axel und ich in einer viersitzigen "Skyhawk". Axel filmt an mir vorbei die Kornfeldfigur, die wir Stunden zuvor gemacht haben, und von hier oben sieht sie nicht sonderlich spektakulär aus. Sie ist lang, aber sieht unausgewogen aus; keine Spur von Inspiration. Allerdings liegt sie gut in der Landschaft: Sie zeigt auf Peter Landtaus Hof und befindet sich mitten im Feld und ist ein guter Wegweiser für die überfliegenden Piloten. Wir drehen unsere Runden und landen, als gerade Clemens Richter seinen selbstgebauten Doppeldecker startet. Clemens hat damals von diesem Doppeldecker aus fast alle Angelner Kornkreise entdeckt, aber es hat ihn nie sonderlich interessiert, wer die gemacht haben könnte. Vor seinem Start unterhielt er sich mit Dörthe und Gregor, aber er wollte partout nicht vor die Kamera.

Den Abend verbringen Jan und ich in unserer Ferienwohnung; wir sitzen in Liegestühlen auf der Terrasse und blicken auf unsere Kornfeldfigur. Andreas und Frank sind abgereist. Die Sonne geht unter und alles sieht jetzt sehr gut aus, eine schöne Schlusseinstellung für den heutigen Film. Musik und Abspann. Die Wahrheit liegt nicht irgendwo da draußen, dafür aber mein Lieblingskugelschreiber.

Den finde ich am nächsten Vormittag wieder, als wir die Figur weiter vermessen. Er liegt gut sichtbar auf der Kornlage und gestern muss ich Tomaten auf den Augen gehabt haben. Vielleicht hatte ihn mir aber auch der in dieser Gegend als Wiedergänger umherwandernde Graf von St. Germain gemopst, um damit in das Jahr 1618 zu reisen und verwunderten Wirtshausgästen ein Schreibwerkzeug aus der Zukunft zu zeigen. Nett von ihm, dass er ihn wieder zurückgebracht hat.

Wir vermessen noch die Abstände der Traktorspuren und jetzt wird klar, warum unsere Figur kaum relevante geometrische Bezüge zu den Fahrgassen aufweist: Die Traktorspuren in unserem Plan waren falsch eingezeichnet, weil wir sie versehentlich aus einer Grafik einer alten Angelner Kornfeldfigur, die natürlich in einem ganz anderen Feld gelegen hatte, kopierten und nicht aus Jans neuer, extra für unseren Entwurf erstellten Datei. Noch so ein dummer und leicht vermeidbarer Fehler. Aber jetzt machen Jan und ich mal etwas, bei dem wir nicht so viel falsch machen können, wir legen nämlich noch unsere Signatur in das Feld. Sie ist eine abgewandelte Form unseres "invisible(circle" logos und sieht ungefähr so aus: iŠ. Wir gehen einfach in das Feld, ohne genau darauf zu achten, wo wir hingehen, und an einer Stelle, die uns gefällt, plätten wir die beiden Buchstaben aufs Geratewohl in den Weizen zwischen zwei Fahrgassen. Dieses Mal gelingt uns auf Anhieb alles, denn das Getreide lässt sich heute irgendwie besser flachlegen und wir haben anscheinend schon unsere Körper-Brett-Koordination verbessert. Ausserdem sind wir mal alleine im Feld und niemand stört.

Wir probieren spaßeshalber auch mal die "Baumstamm-Methode" aus, denn die haben wir damals im Fernsehen gesehen, als Jan so fürchterlich vorgeführt wurde (Seitdem wollen wir beide nicht mehr Millionär werden). Wir haben zwar keinen Baumstamm, aber ein altes Abflussrohr von Bauer Landtaus Schutthalde, und nun rollen wir diesen zylindrischen Hohlkörper mit Nachdruck durch das Korn. Das funktioniert besser als erwartet und kurze Strecken und kleine Kreise sind schnell gemacht und damit auch das "i". Die kleine Figur wird gleich von uns vermessen und später am Computer stellen wir fest, dass wir zufällig die beiden Buchstaben und den Ring so zwischen die Traktorspuren gesetzt haben, dass sich relevante geometrische Bezüge zu diesen finden lassen (Abb. 2). Na also, geht doch!



Abb. 2: Pentagonales Copyright


Dieser und der nächste Tag in Angeln vergehen mit Besuchen bei alteingesessenen Angelitern, die von Dörte und Gregor in Tateinheit mit Axel und Hartwig und mit vorgehaltener Kamera gezwungen werden, über ihre Kornkreisvergangenheit zu sprechen. Zu ihrem Glück haben sie keine. Der Herr des Gutes Dollrott, der alte Ostermann-Lammers, erinnert sich zwar noch daran, mit welchen seiner weiblichen Verwandten der dänische König im siebzehnten Jahrhundert ein heimliches Verhältnis hatte, aber Kornkreise hat er in den letzten vierhundert Jahren keine gesehen, ausser natürlich den einen Kreis auf einem seiner Felder vor zwölf Jahren. Am nächsten Tag weiß auch Bauer Hansen nichts Besonderes zu berichten; auch er hatte vor acht beziehungsweise sechs Jahren einen Kreis auf seinem Feld, aber davor hat er weder Kreise gesehen noch von ihnen gehört.



Abb. 3: Ferien auf dem Bauernhof (Übernachtung inkl. Kornkreise)


Jan und ich werden jetzt nichts mehr gefragt, stattdessen fahren wir oft von links nach rechts durch das Bild und dann genauso oft von rechts nach links, wir steigen aus und wieder ein, gehen aus dem Haus und gehen wieder rein. Es nennt sich "Anschlüsse" drehen und ist gut für die Kontinuität beim Schneiden des Beitrages und eines Tages, wenn Kornkreise schon lange vergessen sein werden, könnte der fertige Fernsehbeitrag aussehen wie eine Dokumentation über neurotische Städter auf der Flucht vor sinnvollen Tätigkeiten oder wie ein absurder Werbefilm für VW Beetles. Aber soweit sind wir noch nicht, erst einmal stellen wir noch ein Schild an unserer Kornfeldfigur auf und machen Fotos aus einem an Bauer Landtaus Traktorschaufel angebrachtem und hochgefahrenen Gitterverschlag (Abb. 3). Dann verbringe ich meine letzte Nacht in Ulsnis und am nächsten Morgen bringt mich Jan freundlicherweise nach Eckernförde, wo ich die nächsten Tage bei meinem Freund Stefan Canham in seiner Stipendiatenwohnung im Schleswig-Holsteinischem Künstlerhaus verbringe. Einmal kehre ich mit ihm zu meinem ersten Kornkreis zurück und er macht ein letztes Foto von mir (Abb. 4), als ich gerade versuche, aus der Figur heraus Jan anzurufen (Und es funktioniert, keinerlei seltsame technische Probleme, wie sie oft von Kornkreisbesuchern berichtet wurden. Anscheinend sind diese Effekte nur schwer reproduzierbar.), der gerade zu Besuch bei einer Freundin weiter nördlich ist, danach gehen wir aus dem Feld, treffen kurz Peter Landtau und steigen dann wieder ins Auto. Der Himmel ist blau und die Luft ist heiss und wir fahren an die Ostsee und haben unsere Badehosen dabei.



Abb. 4: "Hallo Chef, der Kornkreis ist fertig! Ja, und das Handy geht auch noch."
(Foto: Stefan Canham)



14. Juli 2003

Zwei Wochen sind vergangen und jetzt fahre ich mit Dörte und Gregor nach Rügen, um dort Kornkreise zu filmen. Als wir irgendwo an der schnurgeraden Bahnlinie zwischen Rambin und Samtens ankommen, geht es auch schon los: Jan sowie Hartwig und Axel sind schon da und wir gehen gleich in ein Weizenfeld, wo ein kleines Relief aus flachgelegten Halmen auf uns wartet. Diese Figur liegt hier erst seit vorgestern und gefunden hat sie Umar, "unser Mann auf Rügen", ein junger Mensch von dieser Insel, der uns schon seit drei Jahren von den Kornkreisen hier berichtet, einfach deswegen, weil er sie meistens als erster entdeckt. Ein paar hundert Meter weiter den Feldweg entlang liegt ein Phaceliafeld, in welchem er gerade gestern auch ein paar Kreise gefunden hat, die bisher weder er noch ein Anderer betreten hat. Holla die Waldfee! Aber zunächst spulen wir unser Programm in der Weizenfigur ab und wir kommen uns zunehmend blöd dabei vor. Nach unseren eigenen Erfahrungen vor vierzehn Tagen in Angeln verraten uns einige Details, dass auch hier eher mit den Bordmitteln des nächstgelegen Baumarktes gearbeitet wurde als mit hochentwickelter Militärtechnologie oder ferngelenkten Wirbelwinden. Nachdem wir uns vor der Kamera angestrengt haben, weder zuviel noch zuwenig zu sagen und dabei nicht allzu albern auszusehen, gehen wir alle zusammen mit dem dazugekommenen Andreas Küstermann, ein Journalist der Ostsee-Zeitung, in der sengenden Sonne zu dem himmlisch blauen Feld mit der Phacelia.

Phacelia ist eine sinnlos schöne "Zwischenfrucht", d. h. sie wird angebaut, um wieder untergepflügt zu werden und so den Boden zu düngen. Es ist ein struppiges, blau-violett blühendes Kraut, was gerade heute alle Insekten der Insel angelockt zu haben scheint und ein Ausflug in diese überaus ästhethische Botanik ist relativ abenteuerlich, wenn man Insektenstiche nicht als auto-erotischen Reiz betrachtet. Die Kreise liegen tief im Feld und es ist auf den ersten Blick erstaunlich, dass in einer Pflanze, die fast schon beim Anschauen abknickt, bröselt und bricht, klar konturierte geometrische Figuren entstehen konnten, ohne dass irgendwas oder wer Spuren hinterlassen haben soll. Aber dann ist es soweit: Aus einem Kreis führt eine Fußspur hinaus, oder hinein, wie auch immer. Wir folgen den Spuren im Gänsemarsch und stellen fest, dass alle Kreise durch sie verbunden werden; nicht auf einer geraden Linie, sondern immer im großen Bogen. Während wir der Spur aus dem Feld hinaus folgen, platzt in mir endgültig der Traum von einem wie auch immer geartetem unerklärlichem Phänomen. Dieses hier ist erklärbar, statt Forschung wartet hier eher Detektivarbeit auf uns.

Dörte und Gregor benötigen uns bis auf einen kurzen Dreh im Garten von Jans Hotel zunächst nicht mehr, wir sind erst wieder richtig dran, wenn Harald Hoos auf der Insel erscheinen wird, um uns vor der Kamera zu überzeugen, dass alle Kreise und Figuren im Korn menschengemacht sind. Also fahren Jan und ich kreuz und quer über die Insel, gehen essen, liegen am Strand, treffen Bekannte von Jan, die er hier in den letzten drei Jahren kennengelernt hat. Ich übernachte bei Andreas und seinen Katzen, die mir jeden Abend tote Vögel auf mein Kopfkissen legen. Andreas wohnt in einem halbfertigen Haus in Teschwitz nahe der sich in seltsamen Formen nach Rügen hineinschlängelnden Ostsee, er selbst ist ein intelligenter und angenehmer Zeitgenosse, mit dem sich gut über Gott und die Welt reden lässt, ausserdem schreibt er gerne über Kornkreise und in dieser Woche bringt er einen kleinen Artikel in der Ostsee-Zeitung über unsere Entdeckung der Fußspur im Phacelia-Kreis unter. Auch er wird gefilmt und nach Kornkreisen gefragt, während ich in Ruhe beim Frühstück die besagte Zeitung lese. Später besichtigen er, Jan und ich die monströse "Kraft durch Freude"-Ferienanlage auf der Rügener Prora (Eine Prora ist so etwas wie eine große Sandbank-Halbinsel), weil dort gerade das Künstlercamp "prora.allinclusive", welches einen Monat lag vor Ort stattfinden soll und von Hamburger HfbK-Studenten organisiert wird, seinen Anfang nimmt. Genauso wie die gerade eintreffenden Künstler haben auch wir Schwierigkeiten, uns in dem viereinhalb Kilometer langen Gebäudekomplex zu orientieren und bald schmerzen uns die Füße und der Kopf auch. Das kilometerlange Monster von einer Bauruine zeigt deutlich, wie autoritäre und unhinterfragbare Ideen in einen menschenverachtenden Wahnsinn münden. Der totale Urlaub hat hier zum Glück niemals stattgefunden, stattdessen gibt es jetzt die totale Leere. Die Sonne verschwindet hinter "Seedag", einer Art salziger, grauer Bodennebel, der von der nordöstlichen See hereinzieht, und wir fahren nach Bergen, um zumindest die Leere in unseren Mägen zu füllen.

Die momentane Leere im Kopf muss anders gefüllt werden. Jan und ich sind aus dem ersten Restaurant in Bergen, welches uns Andreas empfohlen hatte, wieder schnell geflüchtet, weil es sich als bonbonfarbener Drucker für steuerlich absetzbare Geschäftsessenquittungen für emporgekommene Provinzostdeutsche entpuppte, und sind jetzt im zweiten Laden am Platz unten mit den vernünftigen Insulanern und essen ihr Schnitzel mit Letscho. Wir unterhalten uns über journalistische Arbeitsweisen im Allgemeinen und über das journalistische Interesse an uns im Besonderen und kommen zu dem Schluss, dass wir bei den Dreharbeiten über unsere Kornkreisforschung in eine Zwickmühle geraten sind. Wir haben in zwei Rügener Kornfeldfiguren vor laufender Kamera gesagt, dass diese von Menschen gemacht sein müssen, dazu haben wir selbst eine große Figur angelegt, trotzdem behaupten wir immer noch, dass wir eigentlich ein unerklärtes Phänomen erforschen wollen. Natürlich haben wir uns bei den Dreharbeiten abseits der Kornfelder (z. B. morgens in der Angelner Ferienwohnung vor dem Computer oder beim nachmittäglichen Teetrinken auf der Rügener Hotelterrasse) sehr viel Mühe gegeben, dieses eventuell natürliche Phänomen anhand von vielen Anekdoten und geometrischen Zeichnungen fernsehkompatibel darzustellen, aber es bleibt, was es schon immer war: eine Fiktion, eine interessante Hypothese, die sich hier leider mit überhaupt nichts belegen lässt. Dörte und Gregor lassen uns unsere improvisierten Vorträge über die Zusammenhänge zwischen Meteorologie und Quantenmechanik in die Kamera sprechen, aber sie fragen nicht nach, sondern lassen uns unsere Texte abspulen und wirken nicht gerade übermäßig interessiert dabei. Am 18. Juli werden sie uns ein letztes Mal im Kornkreis filmen, dann zusammen mit Harald Hoos, der vor einigen Jahren vom Lager der Kornkreisforscher in das Lager der Kornkreismacher wechselte, und vielleicht kommt noch jemand dazu, der mit ihm zusammen eine Figur in ein Feld irgendwo auf Rügen in das Korn zwirbelt. Wenn das gefilmt wird, stehen wir nicht nur da als spinnerte Forscher, die sich ihre Theorien anscheinend aus den Fingern saugen, sondern auch als blutige Anfänger im Kornkreismachen. Das wäre alles noch zu ertragen, denn Jan und ich haben uns in den letzten Jahren daran gewöhnt, im Fernsehen ab und an dumm dazustehen, aber diesesmal wäre es noch dümmer, sich im Gespräch mit Harald selbst vorführen zu dürfen, indem man zugeben muss, nach all den Jahren der Suche nach Ausserirdischen oder sonstwas auch immer nur von Menschen als Kornkreismachern gehört zu haben, aber noch nicht einmal diese gefunden hat.

Die Lösung für unser Dilemma liegt auf der Hand: Holla die Waldfee muss uns erscheinen! Im Gegensatz zu Jan bin ich der Meinung, dass man Holla einfach nur zuhause besuchen sollte und ihr dann die ganze Sache erklärt und sie artig bittet, ihre übernatürlichen Fähigkeiten auch einmal vor der Kamera zu demonstrieren. Jan glaubt aber nicht, dass Holla überhaupt etwas mit den Kornkreisen auf Rügen zu tun hat, ausser natürlich, dass sie ihre paranormalen Talente dazu benutzt, alle Rügener Kornkreise zu entdecken, wie es sich für eine ehrenhafte Waldfee gehört. Ausserdem kennen sich Jan und Holla schon seit drei Jahren und niemals in der Zeit ist Jan irgend etwas Verdächtiges an Holla aufgefallen. Holla bekommt eine Gänsehaut, wenn sie von mysteriösen Lichtern berichtet, die sie über Kornkreisen gesehen hat, und auf Jan wirkt das sehr charmant, obwohl es ein wenig seltsam ist, dass niemand ausser Holla diese Lichter gesehen haben will. Nun gut, wer weiß schon, wie weit der Zauber einer Waldfee reicht, und wenn die eine nicht da ist, finden wir vielleicht eine andere.

Am 17. Juli schleicht die weiße Mittagskatze über Rügens letzte Weizenfelder und erschlägt den schwachen Wind mit ihrer Tatze. Es ist drückend heiß und am Abend zieht ein Gewitter von Land her über die Insel. Jan und ich im Beetle und Micha und Peter (gemeinsame Freunde von Umar und uns) mit ihrem Auto fahren zwischen den letzten nicht geernteten Kornfeldern der Insel hin und her und legen uns minutenlang auf die Lauer; dann wechseln wir wieder die Position. Wir wissen, dass das Filmteam heute nacht dasselbe macht, allerdings nur mit einem Wagen, und dass es hier auch nicht mehr so viele bespielbare Leinwände für einen Kornkreiskünstler gibt. Unsere Chancen auf Erfolg stehen also zwei zu eins, wenn wir das richtige Feld finden.

Dann ist das Gewitter über uns und es regnet in Strömen und wir können uns beim besten Willen nicht vorstellen, dass ausgerechnet heute Nacht jemand einen Kornkreis machen wird. Aber ungefähr um 23:15 Uhr klingelt Jans Handy und es sind Micha und Peter, die ihm erzählen, dass sie justament und ausgerechnet an dem Feld hinter Jans Hotel einen ihnen wohlbekannten Lieferwagen am Feldrand parkend vorgefunden haben. Vom Fahrer ist weit und breit nichts zu sehen. Der VW Beetle rauscht durch den Regen und wechselt heute Nacht zum wiederholten Male von der Nord- auf die Südseite des Bahndammes und kurz nach halb zwölf kommen wir bei Micha und Peter und dem weißen Lieferwagen an. Es regnet, Jans Hotel wäre fast in Sichtweite, wenn da nicht ein kleiner Hügel wäre, und wir wundern uns und rauchen Zigaretten im Regen unter Jans Regenschirm. Es ist wenige Minuten vor zwölf und die Spannung steigt.


18. Juli 2003

Mitternacht! Dieses Mal ist es wirklich dunkel und wir sehen nicht weiter als bis zur Glut an unseren Zigaretten. Dann pfeift jemand. Wir pfeifen so vertrauenserweckend wie möglich zurück und aus dem Dunkel der baumüberschatteten Straße tritt Holla die Waldfee, heute nacht ganz in Schwarz. Zuerst ist der junge Mann noch ein wenig schüchtern und behauptet, rein zufällig im Tarnanzug im strömenden Regen hier auf seinem nächtlichen Spaziergang vorbei zu kommen, aber da man sich nicht fremd ist, gibt er bald unter unserem auf ihn einprasselnden Regen aus Fragen auf und ist bereit, uns sofort seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Er ist sowieso gerade völlig drin in seiner Arbeit, gerade eben hat er drei Kreise direkt unter Jans Fenster gemacht und dazu noch eine Druckluftflasche mit angeschlossener Trillerpfeife im Feld deponiert, damit etwaige Ohrenzeugen am nächsten Morgen von mysteriösen Geräuschen während der Entstehung der Kreise berichten können. Während wir Schwierigkeiten haben, überhaupt zehn Schritte in dem schlammdurchfluteten Feld zu gehen, rennt Holla mit einer Dachlatte in der Hand vor uns eine Schlepperspur entlang und bleibt sekundenlang weiter oben im Feld stehen, um dann mit einer Hechtrolle plus Latte im Feld abzutauchen. Wir sehen ihn nicht mehr, und plötzlich entsteht vor unseren Augen ein Kornkreis, ohne dass wir genau erkennen können, warum. Dann taucht Holla vor uns wieder auf, er robbt sich auf Knien durch den nassen Weizen und drückt dabei mit der Dachlatte den Weizen vor sich nieder. Die Latte ist gleichzeitig Werkzeug und Maßstab und nach zwei Runden durch den Weizen hat die Waldfee den Kreis produziert und es hat kaum länger als eine Minute gedauert. Wir sind beeindruckt und klatschen Beifall, aber Holla lässt sich nicht ablenken, sondern geht mit der Latte als Peilstab ungefähr fünfzig Schritte durch das stehende Korn und macht dann einen zweiten Kreis, diesmal mit Ring. Dann robbt er seinen Fußweg zurück und legt dabei das Korn nieder, um seine eigenen Spuren zu bedecken, und verlässt sein Werk und gesellt sich wieder zu uns.

Ende der Vorstellung. Alles in allem hat sie nicht einmal zehn Minuten gedauert und wir sind sprachlos. Holla ist auch sprachlos, weil er erschöpft ist und dazu nass bis auf die Haut. Er geht runter zu seinem Lieferwagen und setzt sich in die offene Ladetür und wir haben Angst, dass er gleich in Ohnmacht fällt, deswegen halten wir ihn mit unseren neugierigen Fragen wach. Aber er möchte nach Hause und wir kommen überein, dass wir alle uns noch heute in Teschenhagen beim einzigen "McDonald" der Insel um 14 Uhr konspirativ treffen und dann die weitere Vorgehensweise besprechen.

Nun sind die Gasthäuser der amerikanischen Gastronomie nicht gerade die besten Orte für konspirative Gespräche und erst recht nicht in Dunkeldeutschland zur Hauptsaison und so fahren wir mit gemischten Gefühlen nach Teschenhagen. Als wir ankommen, ist Holla nicht zu sehen, aber als wir schon wieder fahren wollen, steht er nach Waldfeeart plötzlich neben unserem Auto. Wir gehen rein, bestellen uns irgendwas und setzen uns auf die vollbesetzte Terrasse des Lokals. Holla ist immer noch durcheinander, weil wir ihn entdeckt haben, aber auch froh, weil wir ihm nicht böse sind dafür, dass er uns drei Sommer lang hinter das Licht geführt hat. Wir halten das eher für eine respektable künstlerische Leistung und würden ihn am liebsten sofort Dörte und Gregor vorstellen, aber Holla möchte der Welt noch nicht als Künstler präsentiert werden, weil er fürchtet, dann zunächst für die Benutzung fremder Leinwände bezahlen zu müssen. Er hätte es lieber, wenn wir die nächtliche Episode für uns behalten würden und dem Fernsehteam nur erzählen, dass wir ihn aus der Ferne beim Kornkreismachen entdeckt haben und ihn dann entschwinden sahen. Er würde sich dann in den nächsten Tagen bei der Presse melden und seine Version der Geschichte erzählen. Jan und ich bemerken, dass uns diesen Ablauf kaum jemand glauben wird, vor allem Dörte und Gregor nicht, aber da wir noch sehr viele Fragen haben und nicht möchten, dass Holla mitsamt seinen Erfahrungen uns wieder entwischt, lassen wir uns darauf ein, allerdings unter der Bedingung, dass er sich sofort mit Andreas Küstermann in Verbindung setzt, so dass der dem Fernsehen gegenüber unsere Geschichte bestätigen kann.

Kurze Zeit später rufen wir Andreas an und erzählen ihm unser Erlebnis und seinen Teil bei der Vermittlung unserer Variante und er zeigt uns durch das mobile Telefon einen Vogel, ist aber bereit mitzuspielen. Er kennt Holla ja nicht, so dass er gelassen den Lauf der Dinge abwarten kann. Jan und ich dagegen werden, nachdem wir uns schon als abstruse Forscher und unerfahrene Kornkreiskünstler vor der Kamera geoutet haben, gleich die Gelegenheit bekommen, uns auch noch als schlechte Schauspieler zu profilieren.

Nachmittags bevölkern wir die kleine Kornfeldfigur bei Götemitz, in der wir unseren ersten Dreh auf Rügen hatten, mit einer Rekordzahl an Forschern, Medienvertretern und anderen Neugierigen: Neben den vier Leuten vom Fernsehteam, Andreas, Jan und mir sind auch noch Harald Hoos und Klaus Listmann angekommen, um mit uns über die Ursachen von Kornkreisen zu streiten. Micha und Peter sind auch noch irgendwo im Hintergrund, dazu kommt jetzt noch Frank, um alles zu für uns fotografieren. Axel sucht Harald, Jan und mir einen telegenen Platz für die Aufnahme und dann reden wir drei von der astralen Tankstelle fast zehn Minuten über das für und wider der Existenz von nicht-menschengemachten Kornkreisen und ob man aus einem Mangel an denselben Kornkreise einfach so selbst machen darf, ohne zu fragen und später davon zu erzählen. Das Gespräch läuft gut, keiner verhaspelt sich und nur Hartwig beschwert sich bei Axel, weil dieser eine laute, tief über das Feld fliegende Cessna nicht mit eingefangen hat. Kamera und Ton aus, Aufnahme im Kasten. Jetzt sind wir dran. In die allgemeine Aufbruchsstimmung hinein erzählen wir einen Teil unseres nächtlichen Abenteuers und fragen, ob wir auch noch in dieser Kornfeldfigur drehen wollen. Andreas kommt dazu und erzählt, dass er heute mittag einen anonymen Anruf erhalten habe von jemandem, der sich als Rügens Kornkreismacher ausgab und der nun, wo er letzte Nacht zum ersten Mal bei seiner Arbeit beobachtet wurde, seine Geschichte preisgeben möchte. Hochgezogene Augenbrauen und leichter Unmut bei allen anderen Beteiligten und dann fahren wir im Autokorso Richtung Neun Berge zu dem Feld hinter Jans Hotel.

In einer Atmosphäre von "Nun zeigt mal, was ihr vor der Kamera könnt" erzählt Harald, dass diese Figur wohl mit einer Dachlatte im Regen gemacht wurde und nicht länger als zehn Minuten für ihre Fertigstellung benötigte. Au weia, 0:1 in der ersten Minute und Torwart getunnelt. Jetzt bilden Jan und ich eine Mauer vor den glücklicherweise hinter dem Hügel liegenden drei Kreisen und Jans Hotelzimmerfenster und lassen uns mit Fragen zu dem nächtlichen Geschehen beschießen. Wir improvisieren eine kaum nachvollziehbare Erklärung dafür, wie es uns gelang, diese Kornfeldfigur bei ihrer Entstehung zu beobachten und danach trotzdem nicht fähig waren, dem Täter den Weg abzuschneiden. Klappe und gut, aber in den umstehenden Gesichtern können wir lesen, dass hier in den letzten Stunden einige junge Bäume zu voller Größe heranwachsen mussten, um unsere Darstellung plausibel zu machen. Gottseidank können sie nicht sehen, dass Holla die Waldfee im Lieferwagen vorfährt, weil es letzte Nacht so stark geregnet hat und alle unsere Spuren fort gewaschen wurden. Alle verlassen das Feld und Dörte murmelt mir zu, dass sie schon bessere Märchenstunden mitgemacht hätte und Gregor kommt hinzu und fragt uns, ob wir nicht trotz allem Name, Adresse und Telefonnummer der Waldfee ausplaudern könnten. Liebenswürdigerweise kommt Andreas vorbei und lenkt die beiden ab, bis wir in unserem Beetle sitzen und davon fahren. Später am Abend treffen wir ihn wieder und er gibt uns eine laute Lektion in journalistischer Desinformation. Danke dafür, aber zumindest ein Unentschieden über die Pause gerettet.


19. Juli 2003

Auf dem Rasen des kleinen Flugplatzes Güttin treffen wir uns ein letztes Mal: Andreas ist schon seit dem frühen Morgen da, um den gerade stattfindenden Flugtag für die Ostsee-Zeitung zu fotografieren, Jan und ich kommen mittags dazu und treffen die vier vom NDR, um noch eine Schlusseinstellung zu drehen und die Sache mit der Waldfee zu klären. Leider lässt sich nichts klären, denn Holla die Waldfee traf sich schon letzte Nacht auf eigene Faust mit Andreas und will noch nicht heute oder morgen vor irgendeine Kamera treten. Und da das NDR-Team nur noch zwei volle Tage auf Rügen verweilen wird und wir heute schon fahren werden, schafft es keiner, rechtzeitig die nötigen Kontakte herzustellen und Termine abzumachen. Dörte und Gregor sind sauer auf uns, weil wir unseren Kornkreiskünstler nicht verraten wollen und und sagen, dass sie Holla auch ohne unsere Hilfe ausfindig machen könnten und sie wüssten sowieso schon, wie die Waldfee heisst und wo sie wohnt. Mist, wirklich? Ja, sie heisst Frank und wohnt in Altefähr und sie würden einfach zu ihm hinfahren und ihn nach Kornkreisen fragen. Naja, dann viel Glück, vielleicht hat der gute Frank ja auch mal einen Kornkreis gemacht. Wir verabschieden uns von Andreas und verlassen zu sechst den Flugplatz, um noch ein Schlusswort in die Kamera zu sprechen, was uns nach dem gestrigen Gestammel wieder einigermaßen gelingt. Vielleicht deswegen, weil wir heute entspannt an Jans Beetle lehnen und zum ersten Mal vor der Kamera rauchen. Selbstkritisch betrachten wir uns als fehlgeleitete mathematische Marlboro-Männer, die durch ihre Forschungsarbeit in eine seltsame Rückkopplung mit einem anonym arbeitenden Künstler gerieten. Zuerst lernte der Künstler sein Handwerk von den Fotos, Zeichnungen und Texten unserer Homepage, dann bot ihm dieselbe eine Plattform für seine Kornfeldfiguren, die wiederum als Bestätigungen für unsere Forschung dienten. Wir versprechen, dass so etwas nicht wieder vorkommen wird, dann treten wir unsere Kippen aus und steigen in den Volkswagen und fahren in den Sonnenuntergang. Naja, nicht ganz, es ist ja erst früher Nachmittag und die Sonne steht noch hoch am knallblauen Himmel. Wir fahren Richtung Kontinent und kommen dabei auch durch Altefähr und lachen uns schlapp bei dem Gedanken, dass hier ein völlig unbekannter junger Mann namens Frank vielleicht heute noch die Chance bekommt, ohne viel Mühe ins Fernsehen zu kommen. Das Lachen vergeht uns, als wir uns vorstellen, dass die Leute vom NDR stattdessen doch noch Holla die Waldfee aufspüren und erschrecken und sie uns dann vielleicht nicht mehr erscheinen wird. Aber das werden die kommenden Tage und Wochen zeigen, erstmal fahren wir gut durchgeglüht aus einem langen und heissen Ostseesommer nach Hause in Hamburg.

In der nächsten Woche geschieht nicht viel, außer dass meine über hundert Mückenstiche wieder abschwellen und mich noch eine anderes Team vom NDR zuhause besucht und mich nach Kornkreisen im Allgemeinen und nach einer Kornfeldfigur bei Teterow in Mecklenburg-Vorpommern ausfragt. Sie wissen anscheinend nicht, dass diese Figur vielleicht sogar von Harald Hoos gemacht sein könnte und damit indirekt auch von einem anderen Kamerateam des NDR und in mir entsteht die lustige Vorstellung, dass das Machen von Kornfeldfiguren immer schon eine Sportart von Reportern und Journalisten war, um die konkurrierenden Kollegen anzulocken und hereinzulegen. Am Ende kommt natürlich die obligatorische Frage, ob denn auch Ausserirdische Kornkreise machen würden und ich bejahe dieses, allerdings mit der Einschränkung, dass sie es nur bei sich zuhause tun würden und bestimmt nicht auf diesem Planeten.

Dann tauche ich wieder ab in meinen Alltag zwischen Postfiliale, Kunstverein und dem Einrichten meiner neuen Wohnung und habe dazwischen auch Zeit, über meine langjährige Kornkreiserfahrung nachzudenken. Ich denke vor Allem über die Figur und den Kreis nach, bei denen ich mir damals keine menschliche Ursache vorstellen konnte, und komme zu dem Schluss, dass die Figur sehr wohl von einem bestimmten und mir bekanntem Menschen sein könnte, nämlich jemandem, der über die Geometrie Bescheid wusste und die Figur dazu angeblich gleich um fünf Uhr morgens am Tag ihrer Entstehung fand. Als ich mir meine alte Zeichnung ansehe, stelle ich fest, dass meine Geometrie genauer ist als die reale Figur; zudem scheint es meiner jüngsten Erfahrung nach auch nicht schwer zu sein, diese Geometrie zufällig zu erzeugen, indem man sich an bestimmte Maße hält und dann künstlerisch intuitiv vorgeht. Also muss ich bald mal einen Brief schreiben.

Bei dem anderen Kreis, den ich 1994 in einem Feld bei Upton Scudamore in Hampshire fand, ist die Sache schon schwieriger. Das war nämlich kein Kreis, sondern nur eine Bucht aus flachgelegtem Korn an einer Traktorspur. Ziemlich amorph, trotzdem hatte die Fläche einen klar erkennbaren Mittelpunkt, von dem aus alle Kornhalme geradeaus fort zeigten. Kein Wirbel, kein Kreis, nur ein Punkt, an welchem anscheinend eine Art von kalter Bombe explodiert war, die das Korn umlegte und dabei nicht einmal flach drückte und dazu noch mit einem breiten Auslauf in Richtung der Spur des Schleppers legte. Gut, vielleicht konnten Menschen auch das machen, aber zu allem Überfluss befand sich gleich neben diesem halbwegs kreisförmigen "Kreis" eine dünne Spur durch den Weizen, ausgehend von der nächsten Traktorspur und sich hin ziehend bis zu einem Drainagegraben, der das Feld von dem benachbarten Feld trennte. Dies Spur hatte eine Breite von höchstens zehn Zentimetern und in ihr lag das Getreide nicht flach, sondern war nur leicht in der vom Kornkreis fort weisenden Richtung abgebogen. Und sie war schnurgerade gezogen, ich konnte durch sie geradewegs fast hundert Meter weit hindurch peilen. Es konnte kein Fehler der Saatmaschine sein, weil die Spur diagonal zur Richtung der Aussaat und der Traktorspuren lief, auch ein Tier als Urheber schien mir sehr unwahrscheinlich zu sein. Vielleicht hatte hier jemand seinen Modellhelikopter fliegen lassen mit einem daran befestigten Seil plus Gewicht, oder es gab einen Vogel, der im Tiefflug hundert Meter geradeaus durch das Korn gerast war. Aber das hätte ich irgendwann gerne selbst einmal gesehen. Sah ich aber nicht und ich sah auch nie wieder einen nicht gewirbelten Kreis oder eine so seltsame Spur.

Es bleiben auch noch die beiden Figuren, die nachträglich neben zwei schon vorhandenen Kornfeldfiguren entstanden. Ich habe sie schon beschrieben in der Invisible(Circle Edition 2001 (sie sind abgebildet auf den Seiten 84 und 85) und in meinem Text "Wie man vollkommen verschwindet", zu finden unter http://www.invisiblecircle.de/schindler/texte2001/howtodisappear.html. Bis heute ist mir nicht klar, wie Menschen eine genaue auf vorhandene Figuren abgestimmte Geometrie zweimal im Abstand von drei Jahren hinbekommen sollten, dazu noch mit einer geometrischen Veränderung von der ersten zur zweiten Figur, welche zeigt, dass sie sich ihrer rechnerischen Vorgehensweise bewusst waren. Auf einer Fläche von ungefähr einem viertel Quadratkilometer sind alle geometrischen Relationen der zweiten Figuren zu den jeweiligen ersten plus Traktorspuren anscheinend berechnet worden, und damals konnte ich meine Zeichnungen nicht nur nach diversen Luftbildern, sondern auch nach Aufmaßen anderer Kornkreisforscher herstellen. Um diese Genauigkeit zu erreichen, hätte man die die zuerst erschienenen Kornfeldfiguren nebst Feldern und Umgebung genauestens vermessen und dann die zweiten Figuren in den vorgegebenen geometrischen Rahmen einpassen müssen. Ich wüsste niemanden, der das gemacht haben könnte (die Aufmaß nehmenden Forscher waren erst nach dem Erscheinen der zweiten Figuren vor Ort), weil niemand, den ich kenne oder von dem ich gehört habe, die dafür nötigen technischen Hilfsmittel besitzt.

Ausser vielleicht dem britischen Militär. Es könnte ja damals einen abgedrehten Offizier gegeben haben, der seiner Kompanie befahl, Kornkreise als Mittel zur Kommunikation laut NATO-Handbuch einzusetzen und gleichzeitig als Mittel zur psychologischen Kriegsführung zu benutzen. Gutes Training ist alles, noch heute findet man die "klassischen" Kornfeldfiguren in Ländern wie Polen, Tschechien und Ungarn, die alle Kandidaten für einen Beitritt zur NATO sind. Es würde eine interessante telemetrische Übung abgeben, wenn Soldaten Kornkreise in Kornfelder legen würden, um danach zu sehen, ob sich ihre Figuren per Satellit aufnehmen und weitergeben lassen. Leider hatte Hartwig bisher keine Zeit, um in seinen Umzugskartons nach der "Verschlußsache nur für den Dienstgebrauch" zu suchen, weil er nach unserem Dreh auf Rügen noch drei NDR-Reisejournale in Folge abdrehen musste und gar nicht mehr nach Hause kam. Aber irgendwann findet er es wieder, und wenn sich dann Ähnlichkeiten zwischen den ersten Kornfeldfiguren in England und den pfadfindermäßigen Zeichen der militärischen Schnitzeljagd ergeben, werde ich es sofort aufbereiten und auf unserer Homepage veröffentlichen.

Allmählich kommt der Sendetermin unseres Beitrages näher und ich erzähle davon fast allen Leuten, die ich so treffe, und dabei komme ich in meiner nächstgelegenen Kneipe (dem "Pearl Harbour" in der Ditmar-Koel-Straße, welches sich durch eine exorbitant gute Musikauswahl seitens des Wirtes namens Olaf auszeichnet) ins Gespräch mit einem freiberuflichen Zauberer. Er tritt wahlweise mit Zylinder und schwarzem Umhang oder in Rübezahl-Outfit auf; heute sitzt er als Vertreter des letzteren Stils am Tresen und führt mir einige Tricks vor. Alle verblüffen mich und keinen kann ich erklären und später spricht Albert (so heißt er) sein Credo in meine fragenden Augen: "Wiederhole nichts, erkläre nichts, und behaupte niemals, übernatürliche Fähigkeiten zu besitzen." Weia, das hat gesessen. Diese scharfe Sentenz gilt nicht nur für Magier, sondern auch für Kornkreismacher und Kornkreisforscher, so lange sie sich von beiden Seiten an derselben Vorstellung abmühen. Es ist weder die Forschung, noch die Ungewissheit, welche die Beteiligten treibt, es ist das Spektakel und das Wunder dahinter. Holla die Waldfee!


7. Oktober 2003

Und dieses Mal nicht Mitternacht, sondern viertel vor zehn abends. Unser Fernsehbeitrag läuft auf N3, dem Fernsehsender des NDR. Videorecorder programmiert und entspannende Getränke sowie Zigaretten am Start, denn ich bin nervös, weil ich Angst habe, mich selbst gleich als Volldeppen über die Mattscheibe flimmern zu sehen. Es geht los mit Andreas Müller, wie er als Kaninchen in der Grube in unserem Ulsniser Feld hockt und die Halmknotenlängen vermisst: Ein schönes Bild mit nachtblauer Dämmerung und dem hölzernen Strommast neben dem Feld, dazu ein wenig Licht vom Scheinwerfer der Kamera, der die Kornähren aufhellt. "Gespensterjagd auf Rügen", so heisst die Sendung, und gleich nach diesem seltsamen Mittsommernachtsritual fliegt die Kamera über Rügen und zeigt Kornfeldfiguren von oben. Dann landen wir wieder auf dem Boden der Tatsachen und Landwirt Möller zeigt sich verwundert und leicht ungehalten. Dann kommen Jan und ich und gehen in den Kreis, in welchem eben noch Möller stand (obwohl der gute Landwirt ganz woanders stand und jetzt auch ganz woanders ist) und geben unseren Senf dazu. Ich erzähle irgendwas über Schmetterlinge (muss wohl an "Lord Jim" gedacht haben) und dann sind Jan und ich in Jans Hotel auf Rügen, wo wir beide schon seit mehreren Jahren Dauergast sind (Hey, wir sind reich!). Dort erzählen wir über Kornkreise im Allgemeinen und unsere Gründe, uns mit ihnen zu beschäftigen, was einigermaßen verkürzt, aber auch genauso nachvollziehbar rüberkommt. Als wir dann vom Hotelparkplatz runterfahren, sind wir in Sekundenschnelle drei Wochen vorher in Angeln angekommen und bereiten unser Experiment vor. Wir erklären und machen und die Nacht ist vorbei und die Landwirte Kruse und Landtau schauen vorbei und erklären unser Menschenwerk für Menschenwerk, weil sie es in den vergangenen Jahren schon besser gesehen haben. Abends hängen wir frustriert auf der Terrasse rum und Frank und Andreas kommen vorbei und zeigen uns Videoaufnahmen der neuesten Rügener Kornkreise, was uns sofort bewegt, "fünf Tage später" wieder auf den Hotelparkplatz von Jans Hotel in Rügen zu fahren (soviel zu "Anschlüssen"). Dann hängen wir wieder kurz auf der Hotelterrasse ab und erklären irgendwas über Kornkreise auf Rügen im Besonderen. Danach fliegen wir über die Figur bei Götemitz, weil die Waldfee uns davon erzählte, und kurz darauf gehen wir wieder in diesen Kornkreis, in welchem ich vor ein paar Minuten über die Freuden des Schmetterlingssammlers erzählte. Aber Zeitreisen beschleunigen die Geschichte in alle Richtungen. Erst kommen zwei Rüganer Landarbeiter ins Bild, die sich über den ausserirdischen Tourismus auf Rügen ärgern, danach erzählt Andreas Küstermann, dass ihm Kornkreise seit ungefähr 1570 nach Christus eine Zeitungsmeldung wert sind. Unschuldige Touristen (Menschen) und ein Kaffeekränzchen kommen auch zu Wort.

"Zwei Tage später" gehen Jan und ich dann in das Phaceliafeld und entdecken die ominöse Fußspur, derweil in unserer Abwesenheit zwei Esoteriker in der Figur im Weizenfeld über Blockaden innerhalb des erdenergetischen Feldes reden, die sie unter Zuhilfenahme ihrer Eierstöcke aufspüren. Während die beiden die Weizenfigur als "nicht menschengemacht" erklären, bezeichnen wir die Figur in Phacelia als "menschengemacht". Plötzlich stehen wir in der kleinen Figur, die Holla für uns machte, und drucksen herum. Freundlicherweise haben Dörte und Gregor Haralds Tor des Monats nicht eingebaut, sondern lassen gleich Holla zu Wort kommen, der ihnen im September doch noch eine anonyme Audienz gewährte. Man kann es erkennen an dem herbstlichen Stoppelfeld und an dem dezenten Tarnanzug-Overdressing (selbstgestaltete Gesichtsmaske und reflektierende Turnschuhe!), aber die Waldfee erklärt ihre Beweggründe genauso wie im Sommer und verschwindet in der Dunkelheit. Am Ende lehnen wir an dem dritten Hauptdarsteller, dem Beetle von Jan, rauchen und schauen über Rügens Felder traurig in die Ferne. Wir erzählen noch etwas und steigen in den Wagen und fahren in den imaginären Sonnenuntergang, während der Sprecher für uns hofft, dass wenigstens die Kornkreise in Angeln nicht von Menschen gemacht waren.

Wenn er wüsste... Aber ein guter Beitrag, denn es fehlt nichts Wesentliches (ausser dem Gespräch mit Harald) und die für uns absurde Chronologie der Ereignisse macht die Geschichte spannend. Der Fernseher ist aus und der Recorder spult zurück und ich rufe Gregor an und spreche ihm mein Lob aus. In den nächsten Tagen sagen Jans und meine Freunde (ja, wir haben noch welche!), dass ihnen die Fernsehsendung gefallen hat, sie war informativ und spannend; dazu rufen uns unsere Eltern an und monieren, dass wir vor der laufenden Kamera geraucht haben. Ansonsten hat es allen gefallen und jetzt wissen sie, was sie angeblich immer schon wussten.


Später

Ich weiss erst einmal nichts. All mein Wissen über die Welt um mich herum hat mir in Bezug auf Kornkreise wenig gebracht, mein erster Kornkreis dagegen eine ganze Menge. Natürlich nicht alles, was ich wissen wollte, aber was genau ich wissen wollte, weiss ich gerade auch nicht mehr. Irgendwo ist immer noch eine Lücke zwischen dem, was ich weiss, und dem, was ich erfahren möchte. In diese Lücke werde ich wohl weiterhin gehen, um entweder doch noch etwas Fremdes zu finden oder um zu begreifen, warum ich und Andere sich so gut in der Lücke verstecken können. Ich möchte zum Beispiel immer noch eine akzeptable Erklärung finden für die geometrischen Bezüge, die beim "automatischen Schreiben" einer Kornfeldfigur entstehen und auch für all die von so vielen Leuten erlebten telepathischen Eingebungen (Von Träumen vom zukünftigen Kornfeldfiguren bis hin zu rumorenden Eierstöcken), aber auch eine nächtliche Welt betreten voller mehr oder weniger begabten Kornkreis-Illusionisten (Von Anfängern wie uns bis hin zu Profis, die auch noch die ausserirdischen Raumschiffe, welche die Kreise gemacht haben sollen, an den Himmel zaubern). Es bleibt also spannend, denn irgendwas oder irgendwen findet man immer, und dann hat man neue Fragen. Und ob mein erster Kornkreis auch mein letzter gewesen ist, weiß ich noch lange nicht. Denn zumindest eine neue Erkenntnis habe ich dieses Jahr gewonnen: Kornkreise machen den Sommer lustig.

An alle Beteiligten: Vielen Dank für die Zusammenarbeit! (Aber glaubt nicht, dass ihr übernatürliche Fähigkeiten besitzt.)

© 2003 wolfgang schindler

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